Das Wunder der Lautlosigkeit
Der Fortschritt geschieht heute so schnell, dass, während jemand eine Sache für gänzlich undurchführbar erklärt,
er von einem anderen unterbrochen wird, der sie schon realisiert hat.
Albert Einstein (1879 – 1955)
Aber nicht nur die Möglichkeiten der Formung des Tons durch den Pianisten ist bemerkenswert, schon das Instrument Klavier/ Flügel ist faszinierend und ein wahres Wunderwerk der Ingenieurskunst, eine Tatsache, die man sich seltener bewusst macht, zu selbstverständlich ist das „Funktionieren“ des Flügels geworden, selbst wenn man mitunter auch bei Konzerten so manche Überraschung mit dem jeweiligen Instrument erlebt.
In diesem Zusammenhang gebe ich jetzt einmal in einem Exkurs Dieter Hildebrandt das Wort, der über
Das Wunder der Lautlosigkeit
in humorvoller Weise berichtet.Blick auf den zweichörigen Saitenbezug eines Flügels – unten die Hammerköpfe, oben die Dämpfer |
Was hier wie eine Mafia-Story kurzgefasst wurde, ist der Weg der Tonerzeugung auf dem Flügel (wobei andere wichtige Elemente wie Fänger oder Feder noch nicht einmal berücksichtigt sind). Das Klavier ist nämlich nicht nur ein Klangkörper, sondern auch eine hochkomplizierte Maschine. Wer Klavier spielt, setzt wahrhaft alle Hebel in Bewegung. Wir haben der banausischen Versuchung nicht widerstehen können, auszurechnen, was an „Teilchenbeschleunigung“ in einigen konkreten Fällen stattfindet. So zeitigt das Prélude Nr.8 von Chopin in anderthalb Minuten (Pollini) achttausend Bewegungen; vierzigtausend werden von Schumanns Toccata (op. 7) in knapp fünf Minuten verlangt (Horowitz, der den ersten Teil nicht wiederholt); und ein Riesenwerk wie die Hammerklaviersonate beansprucht das Instrument mit nahezu einer Viertelmillion Mobilmachungen.
Aber eben dass von allen diesen Schwüngen und Stößen, diesem Niederfallen und Aufsetzen, dem Anheben und Anhebeln, dass von all diesen hölzernen Bewegungen und drahtigen Hüpfern nicht ein Laut zu hören ist, dass dieses ganze Stabgestänge keins der Geräusche von sich gibt, auf die es doch Anrecht hätte (Klappern, Knarren, Ächzen, Quietschen, Reiben, Schurren, Scheppern), das ist das Märchenhafte der (gut funktionierenden) Mechanik. Und wenigstens einmal sollen jene Teile hier zu Wort kommen, die da für Diskretion sorgen wie stumme Diener in einem großen Schloss: Stoßzungenprallpolster und Abstellpuppenleder, Dämpferpralleistenfilz und Dämpferabheberleistenfilz, Hebegliedfußfilz und Hammerruheleistenfilz (und manches andere mehr).
In der meisterlichen Ausarbeitung dieser Mechanik zeigt sich das Pianoforte abermals als ein Kind des achtzehnten, als ein Held des 19. Jahrhunderts. Über tausend Patente hat Rosamund T. Harding allein bis 1851 gezählt. Im Klavier, nicht zuletzt in seiner Mechanik, haben sich anderthalb Jahrhunderte ein Denkmal gesetzt. Auf diesem kleinen Terrain haben sich Tüftler und Träumer versucht, Spieler und Spinner, Tischler und Gerber, Mechaniker und Musiker. Neben dem Ingenieurgeist des 19. Jahrhunderts findet sich im Klavier auch die Ingenuität des Säkulums, nein, sagen wir besser: sein Ingenium.“
(zit. nach: Dieter Hildebrandt, Pianoforte oder Der Roman des Klaviers im 19. Jahrhundert, München 1988)
„ ...nahezu eine( ) Viertelmillion Mobilmachungen.“ | |