Christian Elsas ein Künstlerleben - Die andere Vita
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Jede Begegnung, die unsere Seele berührt,
hinterlässt eine Spur, die nie ganz verweht.
Lore Lillian Boden
Versuch, möglichst folgerichtig an Hand von Fakten darzustellen, warum und wie die Zeit – manchmal unbemerkt, nur über große Distanzen sichtbar – Christian Elsas zu einer Künstlerpersönlichkeit heranreifen ließ, die vom üblichen Schema abweicht.
Christian Elsas saß schon als 3jähriger Junge am Klavier, das eine ungeheure Faszination auf ihn ausübte, die bis zum heutigen Tag ungebrochen anhält.
Ausgangpunkt dafür waren regelmäßige abendliche Musikabende, die sein Vater, der neben seinem Beruf als Pastor leidenschaftlicher Geiger war, zusammen mit Musikdirektor Alfred Melchers im Pfarrhaus in Remscheid durchführte. Melchers, der seinen Vater am Klavier begleitete, übte schon rein äußerlich auf das Kind eine enorme Faszination aus.
Erst mit 6 Jahren gestatten die Eltern ihrem Sohn den ersten regulären Klavierunterricht – sein erster Klavierlehrer wurde dann Musikdirektor Melchers -, da sie der Ansicht waren, dass es besser wäre, das Kind und später den heranwachsenden Jugendlichen möglichst natürlich aufwachsen zu lassen, anstatt ihn von frühester Jugend an, mit Scheuklappen versehen, auf den Beruf eines erfolgreichen Konzertpianisten zu trimmen.
Gehör und stets verstimmtem Clavier Beethoven, Strauß, Offenbach und Chopin
bunt durcheinander schüttelten, blutete über ihnen ein junges Opfer
musikalischer Dressur stundenlang unter Tonleitern und Übungen.
Am frühesten begann die Sopran-Dame im dritten Stock ihr Tagewerk
mit italienischen Arien aus „Lucia“ und der „Nachtwandlerin“. Es schien
ihr Appetit zum Frühstück zu machen... Der Abend pflegte im
anstoßenden Hause durch vierhändiges Abschlachten altersschwacher
Ouvertüren gefeiert zu werden ... und niemals, gar niemals kam diesen
kunstsinnigen Gemütern der Gedanke, es könnten ihre musikalischen Orgien
wehrlose Leute in der Nachbarschaft belästigen.
Diese Einstellung seines Elternhauses, in dem neben Musik, Literatur, bildender Kunst eine möglichst umfassende Allgemeinbildung einen sehr hohen Stellenwert einnahmen, ließ eine Persönlichkeits heranreifen, deren musikalische Aussage zwangsläufig anders aussehen musste als die eines nur auf den musikalischen Fokus hin Ausgebildeten.
Schon sehr früh lernte er das öffentliche Spiel vor Publikum, da nach dem Umzug der Familie nach Marburg der dortige Musiklehrer am humanistischen Gymnasium Philippinum, Heinrich Will, der gleichzeitig sein zweiter Klavierlehrer wurde, zusammen mit ihm bei jeder schulischen Feierlichkeit auftrat. Hoch anzurechnen ist diesem, dass er seinen geliebten Schüler aus seinen Fittichen entließ, weil er die Begabung des Jungen erkannte, die er meinte nicht genügend weiter fördern zu können und zur Aufnahmeprüfung an Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt/ Main schickte, wo Christian Elsas dann von 1965 – 1968 die Fächer Klavier und Tonsatz/ Gehörbildung studierte, ergänzt durch professionellen Privatunterricht in den Fächern Cello und Gesang/ Stimmbildung in Marburg. Parallel dazu besuchte er das Gymnasium Philippinum weiter, wo er seine schulische Ausbildung mit dem Abitur 1968 abschloss.
Die Zeit verweilt lange genug für denjenigen, der sie nutzen will.
Leonardo da Vinci (1452 – 1519)
Bereits 1965 betrat Elsas als Pianist dann auch die öffentliche Bühne, der er bis zum heutigen Tage ununterbrochen treu geblieben ist.
Dies hinderte ihn aber nicht daran, im hauseigenen Streichquartett, dem sein Vater als Primarius vorstand und seine zwei Brüder mitspielten, seine Erfahrungen als Cellist im Streichquartettspiel zu sammeln.
Dies kam ihm zugute, als er 1968 an die Musikhochschule Frankfurt/ Main wechselte, wo er in die Soloklasse Klavier von Prof. A. Leopolder aufgenommen wurde, zusätzlich aber noch bei Prof. A. Molzahn Cello und bei Prof. G. Weigmann Kammermusik studierte.
Es dauerte nicht lange, dass er zusammen mit dem Hochschulquartett als Pianist und Repräsentant der Musikhochschule Frankfurt/ Main ins In- und Ausland geschickt wurde.
Nach seinem Diplom 1972 an der Frankfurter Musikhochschule wechselte er in die Meisterklasse des international anerkannten Pädagogen Prof. Leygraf an der Musikhochschule in Hannover, wo er sein Konzertexamen ablegte.
„hauseigenes“ Streichquartett 1. Geige: Vater Heinrich Elsas 2. Geige: Bruder Christoph Elsas Bratsche: Bruder Gottfried Elsas Cello: Christian Elsas |
Die frühe Beschäftigung im häuslichen Bereich mit der Kammermusik, seines eigenen zusätzlichen Cellostudiums und die Erfahrungen, die er in vielen verschiedenen Formationen und dann auch gemeinsam mit dem Hochschulquartett während seiner Studienzeit machte, legten den Grundstein, dass Elsas bis zum heutigen Tag, neben seiner Arbeit als Solist, auch der Kammermusik große Aufmerksamkeit entgegenbringt. Da ihm schon von seinem Elternhaus her jeglicher Drill und Zwang zur Konformität fremd ist, verfolgt er unbeirrbar seinen Weg, abseits vom jeweiligen Trend mit seiner höchst eigenen, aufgrund der Vielschichtigkeit und alle Gebiete der Kunst und Literatur umfassenden Interpretation seine Zuhörer zu überraschen und zu überzeugen. Durch seinen unbedingten Willen zum dramaturgischen Konzept, das wie ein roter Faden durch ein poetisches Stück genauso wie durch ein dramatisches läuft, kann er eine durchgängig anhaltende Spannung erzeugen, die die Zuhörer in ihren Bann zieht und damit ein Markenzeichen seines Klavierspiels darstellt.
Daraus ergibt sich wie von selbst, dass er, um seine dramaturgischen Ziele zu erreichen, eine persönliche, von seinen hervorragenden Lehrern zwar befruchtete, aber ganz individuelle Klaviertechnik entwickelt hat, die aufgrund einer unglaublichen Vielzahl an Anschlagsvarianten den Flügelton in jeder Komposition immer wieder anders formen kann, manchmal sogar, als ob ein anderes Instrument benutzt würde.
Foto: Gottfried Heinrich |
Dies bedeutet, das der Begriff „exzellente Technik“ bei Christian Elsas’ Technik viel zu kurz greift. Die landläufig damit verbundene Assoziation virtuoser Bravour gehört zwar selbstverständlich auch dazu, aber sie ist nur eine Komponente von vielen. Seine Art das Klavier zu bedienen, ermöglicht ihm u.a. eine Klangtechnik anzuwenden, die das Instrument auf bis dahin nie gehörte Weise erklingen lassen kann. Wenn man so will, also ein weiteres markantes Alleinstellungsmerkmal. So zieht er z.B. auch in einem poetischen Stück alle ihm zur Verfügung stehenden Register seiner „Technik“, um das ihm vorschwebende Klangbild zu erzielen, sodass eine schlichte Melodie ebenso zum spannenden Ereignis werden kann wie eine virtuose Passage.
Je leichter ein Stück, desto schwerer ist der gute Vortrag.
Arthur Rubinstein (1887 – 1982)
Hohler, geistloser Tastendonner sind ihm ebenso fremd wie die unnatürlich aufgesetzte Attitüde eines Tastentigers. Seine Ehrfurcht vor dem Komponisten und sein unabdingbarer Wille, dessen in Töne verpackte Mission dem Zuhörer zu vermitteln, verbieten ihm geradezu, zu solchen Show-Effekten zu greifen. Er möchte den Beifall des Publikums auf seine ganz persönliche, andere Weise erreichen, auch wenn dies vielleicht schwieriger ist.
Dazu passt seine ruhige Körperhaltung, die für sein Spiel kennzeichnend ist und damit nicht durch beziehungslose Gestik den Hörer von dem Wesentlichen ablenkt.
(Siegener Zeitung)
Arturo Benedetti Michelangeli, 1920 - 1995 Zeichnung: Georg Landgrebe |
Christian Elsas hat zwei Idole, denen er nacheifert, Arturo Benedetti Michelangeli und den alten Arthur Rubinstein, die beide ja auch auf Äußerlichkeiten im Auftreten verzichteten. Bei Michelangeli fasziniert ihn dessen legendäre Klangkultur, die er versucht, in seine eigene individuelle Spieltechnik aufzunehmen und weiterzuentwickeln.
Die größte Kraft auf der Welt ist das Pianissimo.
Maurice Ravel (1875 – 1937)
Bei Rubinstein fielen ihm auf den Schallplatten die wunderbar singenden Bassmelodien als singulär auf, was sich bei Live-Erlebnissen in Straßburg und Luzern nicht nur bestätigte, sondern noch deutlicher zutage trat. Diese Besonderheit konnte Christian Elsas hier mit hoher Konzentration vom Bewegungsablauf erfassen und, zu Hause angekommen, erstaunlich leicht umsetzen.
Bis zum heutigen Tag verwendet er, ständig modifiziert und verfeinert, diese Klangtechnik in Ehrfurcht und Dankbarkeit dem Altmeister des Klavierspiels gegenüber.
Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.
Gustav Mahler (1860 – 1911)
Bereits zu Studienzeiten erkannte der eingangs erwähnte international anerkannte Pädagoge Prof. Hans Leygraf die Besonderheit seines Schülers, als er Elsas nach dem Beginn der legendären Arietta aus Beethovens letzter Klaviersonate op.111 unvermittelt unterbrach mit den Worten: „Wie machst du denn das, Christian?“ Nur einige Details seinen hier stellvertretend umrisshaft skizziert, das andere bleibt Geheimnis.
Christian Elsas hat eine spezielle Akkordtechnik entwickelt, die es ihm erlaubt, sogar im ff dem Flügel einen warmen vollen Klang zu entlocken, es sei denn, die Komposition verlangt das Gegenteil, einen grellen, harten, kurzen Schlag, den jeder Pianist kann. Auch die Tragfähigkeit des Tones versucht Elsas mit speziellen Techniken zu erhöhen, was die Spannweite vom ppp bis zum fff umfasst.
Foto: Ingeborg Büsing |
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Dynamik des Flügels durch konturlos weiche oder gar totgestochene Hammerköpfe nicht so eingeengt ist, dass nur ein stromlinienförmig langweilig wattiger Klang erzeugt werden kann ohne jegliche Variabilität der Klangfarben, weil die Obertonreihe nicht vorhanden ist.
Auch die Pedaltechnik wird von Christian Elsas genauestens unter die Lupe genommen. Es gibt bei ihm nicht zuviel oder zuwenig Pedal, er richtet es jeweils ganz auf die Komposition aus. So gibt es z.B. bei Debussy und Liszt Passagen, wo der über weite Strecken gehaltene Pedalklang erst das vom Komponisten gewünschte Klangergebnis bringt, um es ggf. mit schlicht oder gar trocken geforderten Passagen zu kontrastieren. Auch ½, ¼ Pedal oder Pedaltupfer sind bei Elsas keine Seltenheit. Alles, aber auch wirklich alles wird in den Dienst am Werk gestellt: die Person von Kopf bis Fuß. Der Zuhörer soll dabei das Detail als glänzendes Juwel genießen können und trotzdem den großen Bogen über den gesamten Satz, die gesamte Komposition nicht aus Auge und dem Gefühl verlieren – ein schwieriger Grat, der Elsas immer wieder vor neue Herausforderungen stellt, denn jeder Flügel, jedes Publikum, jede Akustik ist anders. Aber dies gerade lässt ihn nicht in Routine erstarren, er wagt und gewinnt und verliert auch manchmal, was Extrempositionen, die er einnimmt, nun einmal mit sich bringen. Er bezieht immer Stellung und ist bereit, die Konsequenzen aus dieser Stellungnahme zu tragen. Das ist Teil seines Lebens.
Christian Elsas ist, wie man aus seiner Vita herauslesen und beim Konzert hören kann, keiner der „Pianisten wie Sand am Meer“, vielmehr ein Fels in der Brandung der Normalität, der durch sein gesamtes Verhalten polarisiert und Menschen mit vorgefertigter Meinung irritiert. Eine Stromlinienförmigkeit, die sich nach allen Seiten verbeugt, gibt es bei ihm nicht, es gibt nur ein Für oder Wider.
Arthur Rubinstein (1887 – 1982) März 1957 |
Eine weitere Besonderheit, die Arthur Rubinstein in seinen Lebenserinnerungen erwähnte, erregte ebenso bei Elsas großes Interesse und wurde für ihn in der Folgezeit wichtig.
Rubinstein schrieb, dass er nach langem Zögern endlich den Mut gefunden habe, auch größere Passagen mit geschlossenen Augen zu spielen um sich nicht durch das schwarz-weiße Bild der Tastatur optisch konzentrationsmäßig irritieren oder gar ablenken zu lassen von dem, was ihm das Wichtigste war: die musikalischen Abläufe ohne jegliche Störung seinem Publikum zu vermitteln.
Auch dies setzt Christian Elsas seit einigen Jahren bei seinen Soloabenden um, wobei es ihn überrascht, dass sich nicht nur der eben beschriebene „Rubinstein Effekt“ bewahrheitet, sondern – zumindest für ihn – alle anderen Sinneswahrnehmungen geschärft und überhöht werden.
Dazu gehört nicht nur, dass er die Fähigkeit besitzt – wohl ähnlich wie beispielsweise von Walter Gieseking beschrieben – die Partitur optisch abzuspeichern und während des Spiels wie einen Film dazu ablaufen zu lassen; auch die Wahrnehmung der akustischen Verhältnisse wird in einer Weise extrem verändert, dass der erzeugte Klang nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Saal vom Ohr sorgfältig und aufmerksam kontrolliert wird. Dies geht sogar so weit, dass das Gehör soweit sensibilisiert wird, dass sogar im ff ein leises Husten oder Bonbon-Papier-Auswickeln registriert wird.
Foto: Gottfried Heinrich |
Natürlich könnte dies auch lästig sein. Christian Elsas empfindet es aber als große Chance, immer direkt beim Publikum zu sein, auf die kleinste Unkonzentriertheit sofort durch Intensivierung des Spiels reagieren zu können. Dadurch ergibt sich eine wundersame Symbiose zwischen Elsas und seinen Zuhörern, die für den Ausführenden beglückend ist.
Auch für die Zuhörer scheint dieser unsichtbare Faden, der ihn mit seinem Publikum verbindet, ein Gefühl des Zusammen-Erlebens zu vermitteln: sie reagieren spontan bei dramatischen und atemlos bei lyrischen Passagen. Nicht selten ist es sogar möglich, die Pausen innerhalb eines Stückes mehr und mehr zu verlängern, was den Spannungsbogen bis zum Zerreißen anzieht und das Gefühl der gemeinsamen Teilhabe am musikalischen Geschehen noch zusätzlich erhöht.
Christian Elsas, der am Piano Geschichten von Höhen und Tiefen im menschlichen Leben erzählt, auf Antwort von seinem Publikum hofft und beglückt ist, wenn er sie erhält, - so könnte man in schlichten Worten diese Kommunikation zusammenfassen.